Er gilt als einer der besten, für viele sogar „der“ beste Liedinterpret unserer Tage: Christian Gerhaher, Ehrenmitglied der Wiener Konzerthausgesellschaft, der derzeit – gemeinsam mit seinem ständigen Begleiter am Klavier seit Schultagen, Gerold Huber, eine Klasse für Liedgestaltung an der Hochschule für Musik und Theater in München betreut und an der Royal Academy of Music in London unterrichtet. Seit Dietrich Fischer-Dieskau hat sich kein Sänger mehr in einer derartigen Ausführlichkeit wie Intensität mit dem Liedschaffen von Robert Schumann auseinandergesetzt wie Gerhaher und, wie immer mit seinem kongenialen Partner Huber, konfrontiert dieser, der seine stimmliche Ausbildung in Meisterkursen bei Elisabeth Schwarzkopf, Inge Borkh und Fischer-Dieskau abrundete, in seinem Liederabend „Schumann I“ am 14. Dezember 2024 im für Liedgesang akustisch perfekten Mozartsaal des Wiener Konzerthauses das Publikum mit weitgehend unbekannten Liedgruppen des deutschen Romantikers.
Nach den 1851/52 entstandenen „Sechs Gesänge“ op. 107, getragen von einer ständig wachsenden Verdüsterung im Ausdruck, besonders gelungen das verhangen melancholische „Abendlied“, folgen vor der Pause noch die 1840 entstandenen „Zwölf Gedichte“ op. 35., die sog. „Kerner-Lieder“, eine hochromantische Erzählung von Liebe, Abschied und Untergang, die Schumanns musikalische Fantasie insofern anregte, „weil in diesen (Gedichten) schon jedes Wort ein Sphärenton ist, der erst durch die Note bestimmt werden muß.“ (Robert Schumann). Nach der Pause – Gerhaher lässt sich zunächst als erkältet ansagen, gehört hat man glücklicherweise nichts davon – sind dann in diesem gleichsam beglückenden wie fordernden Liederabend noch „Drei Gedichte“ op. 119, entstanden 1851, welche die komplexe Waldsymbolik einfangen, „Drei Gedichte“ op. 30, entstanden 1840, mit ihrem jugendlichen Überschwang, „Sechs Gesänge“ op. 89, entstanden 1850, wo von Abschied und Vergänglichkeit, von Jugend und Alter gesprochen wird, sowie die höchst kontrastreichen „Lieder und Gesänge“ op. 96, entstanden 1850, am Programm.
Zu den Höhepunkten des beeindruckenden Abends zählen – neben den Liedgruppen op. 35 und op. 96, bei Letzterer vor allem das „Nachtlied“ und „Ihre Stimme“ – “Warnung“ aus op. 119, „Der Page“ aus op. 30 sowie „Herbstlied“ aus op. 89. Bei ihrer gemeinsamen Gestaltung des Schumann’schen Kosmos tauchen Gerhaher und Huber kongenial in die Sphären des Lyrischen Ichs der ausgewählten Liedgruppen ein. Nichts bleibt auf der Strecke, den beiden geht es einfach um alles: Emotionen, Gedanken, Klänge Robert Schumanns werden dabei mit enormer Tiefe ausgeleuchtet, sowie stimmlich als auch pianistisch, die Emanzipation des Klaviers ist ja bei Schumann vollendet, Huber spielt mit ungeheurem Feinsinn, mit spannungsgeladener Subtilität, Beiläufiges in der Begleitung gibt es da nicht.
Das Miteinander von Sänger und Pianist hat eine seltene Perfektion erreicht, was Liedgestaltung und exzellente Ausgewogenheit im Hinblick auf die Gewichtung von Musik und Text betrifft. Textverständlichkeit, Artikulation, Diktion, Intonation, Phrasierung von Gerhaher sind einfach nur vorbildlich; seine perfekt geführte wie perfekt im Fokus sitzende, sinnlich vibrierende Stimme von kommt, wie es dem Ausdruck des jeweiligen Liedes entspricht, daher – sanft und weich, phonetisch gewaltig, deklamatorisch, kernig, grell oder fein verschattet. Und Huber am Flügel verfügt über Anschlagsnuancen, die Seinesgleichen suchen.
Nach einer Zugabe – „An den Mond“ aus „Drei Gesänge“ op. 95 von Robert Schumann – verlässt das Publikum bedauerlicherweise an diesem dritten Adventssamstag sehr schnell den nicht wirklich gut besuchten Saal. Diejenigen, die fassen konnten, was sie erlebt hatten, spenden lautstarken, heftigen Beifall.