Das Publikum im Haus am Ring bekommt in der ersten Premiere des laufenden Jahres als Auftragswerk und Koproduktion mehrerer Opernhäuser die Oper in zwei Akten, neun Szenen und einem Epilog „Animal Farm“ mit der Musik von Alexander Raskatov sowie dem Text von Ian Burton und dem Komponisten nach der Dystopie von George Orwell präsentiert. Als Regisseur wurde der italienische Theater- und Opernregisseur Damiano Michieletto verpflichtet, dessen Uraufführungsinszenierung am 4. März 2023 in Amsterdam im Rahmen des Festivals wider Totalitarismus und Rassismus zur Premiere kam und nun am 28. Februar 2024 als Erstaufführung in Wien gezeigt wird.
Revoltieren im Original die Tiere auf einem Bauernhof gegen ihren tyrannischen Besitzer, verlegt Michieletto das Geschehen um diesen scheiternden Befreiungskampf – aus dem Aufstand der Tiere wird eine Schreckensherrschaft der Schweine – auf einen klinisch weiß marmorierten Schlachthof mit mobilen Wänden. „Die Figuren halten sich hier auf, um getötet zu werden. Sie sind in Käfige gesperrt und träumen von Freiheit. Ein Tier zu sein bedeutet hier, ein Sklave zu sein, Fleisch zu sein, ein Gegenstand in der Hand des Menschen.“ – so der Regisseur im Vorfeld der Produktion. Stellt Orwells Klassiker eine Parabel über die Krankhaftigkeit der russischen Revolution unter Stalins Diktatur dar, be- bzw. verarbeitet Michieletto in seiner Inszenierung die Themen des Originals wie Macht, Unterdrückung und Propaganda vielschichtig, wobei die sowjetkritische, märchenhafte Geschichte grundsätzlich grausam ist, aber auch komische Elemente umfasst. Die Grundfrage von „Animal Farm“ ist bedauerlicherweise zwingend aktuell: Einerseits im Hinblick auf die Re-Stalinisierung Russlands, andererseits, dass Volksführer sich bei der Durchsetzung rücksichtsloser Macht- und Eigeninteressen einer kämpferischen Rhetorik von Freiheit und Sicherheit bedienen. „Alle Tiere sind gleich“ mit dem Zusatz „aber manche sind gleicher.“ am Ende: Vor diesem Hintergrund entwickelt Michieletto seine gewohnt effektvolle, spektakuläre Regiearbeit – eine bunte, farbige Inszenierung, in der grotesk skurrile Bilder dominieren, ausgerichtet auf die scharfe, kontrastreiche Musik Raskatovs wie das Libretto, worin Originalzitate von Stalin, Trotzki und Beria, des Geheimdienstchefs, eingearbeitet sind. Unterstützt wird er bei diesem szenischen Panoptikum von Paolo Fantin (Bühne), Klaus Bruns (Kostüme), Allesandro Carletti (Licht) und Thomas Wilhelm (Choreografie). Agieren die Handelnden zunächst noch mit Tierköpfen, legen sie diese im Verlauf der scheiternden Revolution nach und nach ab: Auch die Tiere vermenschlichen, nehmen deren Bestialität an – ein ungemein überzeugender Regiekniff.
Was die Musik von Alexander Raskatov betrifft, ist diese, obwohl sie viele musikalische Verweise auf Russlands Geschichte enthält, schwer fassbar, anstrengend. Lautmalerisch tierisch gefärbt – Blöken, Grunzen, Iahen, Quieken, Wiehern – ist die Partitur, mit stark hervortretenden Soloinstrumenten, ein chorisches Chaos bei sehr schnellen Tempi, wobei die musikalischen Überzeichnungen karikaturhaft wirken. Das groß besetzte Schlagwerk verleiht der Musik einen stark perkussiven Touch, der manchmal ins jazzartige, ragtimehafte, driftet. All‘ das wird vom jungen britischen Dirigenten Alexander Soddy – in dieser Saison vielbeschäftigt am Haus, „Animal Farm“ ist seine erste Premiere an der Wiener Staatsoper – mit Verve, Biss und höchster Umsicht leichtfüßig umgesetzt; das sehr gut aufgestellte Orchester der Wiener Staatsoper meistert auch diese Partitur gewohnt souverän.
Raskatov hat in der Oper viele Solorollen in allen Stimmlagen mit charakteristisch individuellem Profil gesetzt: Das Ensemble auf der Bühne besticht denn mehr durch individuell gefärbten Ausdrucks- als durch passionierten Operngesang. Herausragend Wolfgang Bankl als fieser Napoleon und Holly Flack als kokett tumbe Molly mit aberwitzigen Koloraturen. Sehr gut meistern ihre Rollen auch Gennady Bezzubenkov (Old Major), Michael Gniffke (Snowball) und Andrei Popov (Squealer); auffällig Clemens Unterreiner (Mr. Pilkington) und Elena Vassilieva (Blacky).
Nach kurzem, lautstarkem Jubel, in den der auf die Bühne geholte Komponist miteinbezogen wird, ermattet auch das Publikum rasch nach diesem doch herausfordernden Opernabend.