Zum Ausklang einer langen Saison macht SIMPLY CLASSIC noch einen Abstecher ins Musiktheater Linz und kann die letzte Aufführung am 26. Juni 2024 von Fromental Halévys „La Juive“, mit dem Libretto von Eugéne Scribe, nach technischen Störungen im Bahnnetz glücklicherweise mit nur zehnminütiger Verspätung erreicht werden. Als eines der bedeutendsten Werke der Grand Opéra stand das Werk nicht nur in der hohen Gunst des Publikums, sondern wurde auch von Komponisten wie Verdi, Wagner, Tschaikowsky und Mahler hochgeschätzt – und erscheint noch heute zeitlos aktuell, thematisiert es vor dem historischen Hintergrund des Konzils von Konstanz 1414 den scharfen, emotionalen wie tragischen Konflikt zwischen Christentum und Judentum im Hinblick auf einen (nach wie vor) latent verankerten Antisemitismus. Nachdem Halévy als Jude im Nationalsozialismus verfemt war, das Werk von den Spielplänen verschwand und jahrzehntelang in Vergessenheit geraten war, begann die anhaltende Renaissance des Werkes dann 1999 an der Wiener Staatsoper.
Wurden in der Uraufführung 1835 an der Pariser Oper die Hauptrollen mit den größten Stars von damals – Cornélie Falcon als Rachel und Adolphe Nourrit als deren Vater Èlèazar – gesungen, kann auch das Musiktheater Linz eine exzellente, beachtliche Besetzung für dieses Werk aufbieten. Mehr als rollendeckend besetzt sind die kleinen und mittleren Partien – Ilona Revolskaja mit schön timbriertem Sopran als Prinzessin Eudoxie, Dominik Nekel als Kardinal de Brogni mit profundem, rundem Bass, Alexander York als Großvogt Ruggiero und Michael Wagner als Unteroffizier Albert. Reichsfürst Leopold wird von SeungJick Kim mit fein geführtem, geschmeidigen wie sehr höhensicheren, in allen Lagen ansprechenden Tenor gesungen, die beste Gesangsleistung des Abends erbringt wieder einmal mehr die mit darstellerischem wie stimmlichen Totaleinsatz aufwartende Erica Eloff, welche die fordernde Partie der Rachel beeindruckend meistert, kleine Schärfen in ihrem Sopran beeinträchtigen in keiner Weise das herausragende Rollenporträt. In jeder Aufführung von „La Juive“ am meisten gespannt ist man natürlich immer auf die Besetzung des Èlèazar, einer Paraderolle des großen Enrico Caruso am Ende seiner Karriere, auch Neil Shicoff, der sich nahezu emotional damit identifizierte, hat mit dem jüdischen Goldschmied nicht nur an der Wiener Staatsoper Triumphe gefeiert. Matjaz Stopinsek verfügt zwar nicht unbedingt über schönen Schmelz in seinem Tenor, vermag die Partie aber über den Maßen intensiv zu gestalten und zu singen. Fokussiert auf seine große Szene im IV. Akt („Rachel, quand du Seigneur“, der bekanntesten Arie der Oper, wahrscheinlich auf Anfrage von Nourrit von Halévy überhaupt erst eingefügt), gelingt ihm mit seinen Mitteln eine unter die Haut gehende, ins Herz zielende Interpretation. Das Bruckner Orchester Linz wird von Yannis Pouspourikas am Pult stilsicher, soll heißen betont fein und elegant, wo nötig, auch dramatisch zugespitzt und mit großem Klang, durch den Abend geführt.
Inszeniert am Musiktheater Linz hat Marc Adam, unterstützt von Dieter Richter (Bühne) und Sven Bindseil (Kostüme). Beschränkt sich die Inszenierung zu Beginn darauf, eher statische Bilder mit gewaltigen Massen- und Chorszenen zu zeigen, gelingt es dem Regisseur ab Mitte des zweiten Aktes die typischen, ständig wechselnden Dreierkonstellationen und -konflikte (Rachel–Eudoxie–Léopold, Rachel–Eléazar–Brogni, Rachel–Léopold–Eléazar) deutlich konturiert herauszuarbeiten und arbeitet Adam diesbezüglich auch mit zwingender Personenführung. Den Grundgedanken des Werkes, eines Mahnmals gegen Antisemitismus, dass Judentum und Christentum dieselben Wurzeln haben, unterstreicht die Regie mit großen Bildern, die den Tableaux und damit dem Wesen der französischen Grand Opéra durch und durch entsprechen.
Der Ausflug ins Musiktheater Linz hat wieder einmal gelohnt und macht Vorfreude auf spannende Produktionen in der neuen Saison 2024/2025.