Händel im Café – Stefan Herheim inszeniert „Theodora“

MusikTheater an der Wien Georg Friedrich Händel Theodora Stefan Herheim Bejun Mehta
Ensemble und Leading Team beim Schlussapplaus © Thomas Rauchenwald

Georg Friedrich Händel selbst hielt es für eines seiner besten Werke, das dreiteilige, dramatische Oratorium in englischer Sprache, „Theodora“, uraufgeführt am 16. März 1750 im Covent Garden Theatre London, mit dem Libretto von Thomas Morell, basierend auf der literarischen Vorlage „The Martyrdrom of Theodora and of Didymus“ aus 1687, als weitere Quelle diente das von Pierre Corneille 1645 geschriebene Schauspiel „Théodore, vierge et martyre“. Das Stück wird nun als zweite Neuproduktion der neuen Saison im MusikTheater an der Wien, die wegen des Umbaues im Haupthaus noch zur Gänze im Museumsquartier abgehalten werden muss, auf die Bühne gebracht und wird damit die Reihe der szenischen Oratorien fortgesetzt.

„Theodora“ gilt für manche als Händels Johann Sebastian Bach. Das musikalisch überreiche, in überwiegend meditativer Kontemplation gehaltene Werk erreicht jedoch nicht die erhabene, unerbittliche Wucht und Intensität Bachs, was wohl der Grund dafür gewesen sein mag, weshalb es bei der Uraufführung durchfiel und nur drei Aufführungen erlebte. Erst in unserer Zeit ist man sich der Qualität dieses Meisterwerkes, das neben wunderbaren Gesangspartie vor allem herrliche Chorpassagen enthält, bewusst geworden, man hat noch die außergewöhnliche, inspirierte Einspielung von Nikolaus Harnoncourt wie die überzeugende Inszenierung von Christof Loy bei den Salzburger Festspielen 2009 in Erinnerung. War dessen Inszenierung minimalistisch reduziert, geht Hausherr Stefan Herheim im MusikTheater an der Wien nun einen ganz anderen Weg, ohne dabei emotional weniger tief zu ergreifen.

Historischer Hintergrund von „Theodora“ ist die Christenverfolgung im 4. Jahrhundert unter dem römischen Kaiser Diokletian, eine der grausamsten ihrer Art. Anstelle der Schändung wählen die Titelheldin und ihr Geliebter Didymus letztlich die gemeinsame Hinrichtung und gehen zuversichtlich in den Tod. Eine mühselige Geschichte, bei der im Grunde auf der Bühne – schließlich handelt es sich ja auch um ein Oratorium – so gut wie nichts passiert. Angesprochen werden mit dem Stoff jedoch gesellschaftspolitische Themen im England des 17. Jahrhunderts – die Trennung von Kirche und Staat, religiöse Toleranz, weibliche Selbstbestimmung und die Legalität des Selbstmords. Themen also, die heute noch überall auf der Welt brisant wie aktuell sind. Und diese Hintergründe nützt Herheim, unterstützt von Kai Weßler (Dramaturgie), um das Stück gewaltig aufzupeppen, mit irrsinnigem Drive auszustatten – und platziert Händels religiöse Betrachtungen in einem Wiener Kaffehaus, wozu ihm Bühnenbildnerin Silke Bauer den Innenraum des Café Central in der Herrengasse nachbaut. Das Kaffeehaus, heute ein Ort des Massentourismus, als Ort, wo man allein und doch in Gesellschaft ist, sich die Gesellschaft spiegelt, man mit Printmedien stundenlang seine Zeit verbringen und über das Weltgeschehen erfahren kann, passiv daran teilnehmen kann. „Dieser Ort kann“, so Weßler, „zum Schauplatz einer szenischen Reflexion über die Bedeutung von Glauben und Religion werden, und damit über unsere ganze Existenz“. Die handelnden Personen sind denn Kellner*innen, werden vom Oberkellner (Valens) an deren Arbeitsplatz schikaniert, dessen Missbrauch an seinen Untergebenen wird angedeutet. Da sie bei seinen Machtspielchen nicht mitmachen, werden Theodora und Didymus am Schluss entlassen, bei ihrem Abgang schwebt quasi als Verklärung eine Engelsfigur mit riesigen weißen Flügeln – Herheims Bayreuther „Parsifal“ lässt grüßen – über der Bühne, es darf ruhig auch etwas Kitsch sein. Im Verlauf der Handlung werden von der Patisserie Punschkrapfen verteilt, was anscheinend an die Ausgabe von Hostien in einer Kirche erinnern soll. Herheim, unterstützt von Franz Tscheck, taucht die Bühne in ein mystisch magisches Licht mit ungemein variablen, verschiedenen Schattierungen und Effekten, sodass die Szene mitunter an einen Sakralraum erinnert. Diesem Lichtdesign, dieser Lichtregie, die auch in den Zuschauerraum flutet, würde ein Preis gebühren. Nun werden sich manche fragen, was das alles mit dem Original von Händel zu tun hat? Diese Frage muss wohl jede/r für sich selbst beantworten, Herheims Regiearbeit besticht durch ihre nicht alltägliche, jedoch in höchstem Maß vorhandene Ästhetik, der man sich nicht so leicht entziehen kann, wenn die Sensoren für modernes, intellektuelles Musiktheater ausgefahren sind. Gesine Völlm hat zu dieser im wahrsten Sinn des Wortes azione flippige, schrille Kostüme beigesteuert, genau passend zu diesem Rahmen. Die kunstvolle Arbeit wird begleitet, ja getragen von einer exquisiten Personenregie, von einer überzeugenden Personenführung, die auch – im Hinblick auf den frühchristlichen Stoff – in diesem völlig aus dem Rahmen gefallenen Umfeld zu beindrucken vermag, weil durchdacht und fundiert. Stefan Herheim fordert sein Publikum immer heraus und erntet für diese Regiearbeit nur Zustimmung, geht seine Inszenierung doch auf, weil sie eine überzeugende Schlüssigkeit entfaltet.

Dieses ungemein stete Vorwärtsdrängen der Inszenierung findet in der Musik leider nicht ganz seine Entsprechung. Gleichsam über den Dingen stehend agiert wieder einmal der Arnold Schönberg Chor, einstudiert dieses Mal von Viktor Mitrevski und Leiter Erwin Ortner höchstpersönlich. Von der Formation, von der auch darstellerisch alles abverlangt wird, wenn man die aktionsreiche Bewegungschoreografie betrachtet, ist ungemein feiner, differenzierter, klarer wie höchst präziser Chorgesang zu vernehmen. Im Graben im Museumsquartier hat das La Folia Barockorchester Platz genommen, dirigiert von Bejun Mehta, der sich mittlerweile neben seiner Karriere als Countertenor ein zweites Standbein als Dirigent geschaffen hat. Das Orchester gefällt durch warmes, inniges, mitunter doch allzu behagliches Spiel, stärkere Akzentuierungen, Nuancierungen sowie betonte Dramatik und geschärfte Dynamik hätten dem eintönigen Unterfangen nicht geschadet, andererseits atmet Mehta naturgemäß vorbildlich mit dem Ensemble auf der Bühne. Dieser bisweilen schaumgebremste Ansatz, was die musikalische Umsetzung von Händels Oratorium betrifft, setzt sich auch in Bezug auf das Sänger*innen fort, wo man sich, bei allen Vorzügen eines ausgesprochen homogenen Ensembles, von allen Ausführenden mehr an – vor allem – Phonation wie auch an Bühnenpersönlichkeit gewünscht hätte, obwohl die Regie um deren permanente Bühnenpräsenz mehr als bemüht ist. Evan Hughes hat einen flüssigen, für die brutale Rolle des Valens zu verhaltenem Bass, David Portillo verfügt über einen sympathisch geschmeidigen Tenor als Septimus und gefällt Julie Boulianne mit substanzreichem Mezzosopran. Christopher Lowrey nimmt mit seinem schmelzreichen, warm timbrierten Countertenor für sich ein. Jacquelyn Wagner, im Museumsquartier bereits als Agathe in Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ zu hören, singt die Titelrolle mit edlem, wunderbar ebenmäßig geführtem Sopran, bei dem besonders die lyrische Emphase ihrer gekonnten Rolleninterpretation hervorsticht.

Lob gebührt auch den Tontechniker*innen, die mitunter gescholtene Akustik im Museumsquartier lässt an diesem Abend keine Wünsche übrig. Der Hausherr, Intendant und Regisseur Stefan Herheim, ist jedenfalls am MusikTheater an der Wien angekommen.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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