„Die lustige Witwe“ mit der genialen, einschmeichelnd erotisierenden Musik von Franz Lehár und dem Libretto von Victor Leon und Leo Stein nach der Komödie „Der Gesandschaftsattaché“ von Henri Meilhac gehört natürlich in der Jubiläumssaison unbedingt auf den Spielplan der Wiener Volksoper. Direktorin Lotte de Beer mit ihrem Bestreben nach Erneuerung und frischem Wind im Haus bei Wahrung der großen Tradition wagt dazu noch eine Neuinszenierung dieses Paradebeispiels der silbernen Ära der Wiener Operette und betraut die französische Regisseurin Mariame Clément, die zum ersten Mal an der Wiener Volksoper arbeitet, mit der Regie bei dieser Neuproduktion; die Dialogfassung wurde von Jakob Semotan, der auch den Njegus auf der Bühne verkörpert, teilweise wienerisch angehaucht bearbeitet.
Bei der Regiearbeit merkt man den großen Respekt, den die Regisseurin davor hat, als gebürtige Französin dieses urwienerische Stück dem Wiener Publikum zu präsentieren. Hanna Glawari soll möglichst rasch heiraten. Dabei geht es aber nur um Geld, nicht um Liebe, denn nur durch eine Hochzeit mit der reichen Witwe kann der Bankrott des fiktiven Operettenstaates Pontevedro verhindert werden. Hanna Glawari und Graf Danilo Danilowitsch, ihre Jugendliebe, sind bei Clément nicht mehr jung, sondern blicken auf ein jeweils bewegtes Leben zurück. Und dann werden sie von einer – ihrer – großen, alten Liebe erwischt … Eine betont neue Lesart also eines alten Repertoire-Klassikers. Durch diesen interessanten Regiekniff werden ihre Gefühle füreinander, ihre große Liebe, nur noch glaubwürdiger, weil in fortgeschrittenen Jahren umso tiefer, inniger. Diese zusätzliche Dimension leiser, verhaltener Melancholie, die in dieser Inszenierung dadurch mit ins Spiel kommt, harmoniert auch sehr gut mit den großartigen Melodien Franz Lehárs, welche diese Operette zu seiner erfolgreichsten machten. Was der Inszenierung fehlt, ist ein gewisser Schmiss sowie eine Portion Erotik, auch die ein wenig postkommunistisch anmutende Ausstattung von Julia Hansen erweist sich diesbezüglich als wenig vorteilhaft. Peinlich wirken manche aufgesetzten, dumm dämlichen Späßchen. Am überwiegenden Gelingen dieser neuen Produktion haben Miles Hoare mit einer flotten Choreografie und Alex Brok (stimmiges Licht) ihren Anteil.
Am Pult des beherzt wie groß aufspielenden Orchesters der Wiener Volksoper stellt sich Ben Glassberg, neuer Musikdirektor des Hauses seit Januar 2024, mit seiner ersten Operettenpremiere auch in diesem Genre dem Publikum vor. Der junge Dirigent erweist sich als Glücksgriff für das Haus – sensibel, mit viel Gespür für die schmeichelnd verhaltenen Melodien, gekonnt, mit Dramatik und Verve in den rasanten Abschnitten dieser Tanzoperette führt er durch den Abend.
Was die Besetzung in der Premiere am 2. März 2024 anbelangt, stellt Annett Fritsch stimmlich wie optisch nahezu eine Idealbesetzung für die Hanna Glawari dar. Ihr Sopran ist sehr gut geführt, schimmert, leuchtet, die Höhen kommen mühelos und entfalten sich frei. Daniel Schmutzhard als Graf Danilo Danilowitsch kann da vor allem gesanglich nicht mithalten, gestaltet zwar eine am Ende berührende Figur, seinem Bariton fehlen aber Höhe und Fülle, nach der Pause steigert er sich stimmlich glücklicherweise. Eine Idealbesetzung für diese in jeder Hinsicht herausfordernde Rolle gibt es leider nicht, weil kein Sänger den Charme von Johannes Heesters, die stimmlich überschäumende Virilität von Eberhard Wächter und die phänomenalen Höhen von Sebastian Reinthaller, die alle in dieser Rolle an der Volksoper begeistert hatten, in sich zu vereinen vermag. Szymon Komasa überzeichnet den Baron Mirko Zeta, seine Gattin Valencienne gibt Hedwig Ritter wenig sensibel, stimmlich bedauerlicherweise krass unterbelichtet ist Camille de Rosillon, gesungen von Aaron-Casey Gould. Aus den Nebenrollen stechen Michael Havlicek als Vicomte Cascada und Robert Bartneck als Raoul de St. Brioche hervor, den Chor gut für seine Aufgabe präpariert hat Roger Diaz-Cajamarca.
Dem Publikum hat’s sehr gut gefallen, am Ende gibt’s Jubel für alle Beteiligten.