Der Finne Klaus Mäkelä ist einer der begabtesten Dirigenten seiner Generation. Derzeit Chefdirigent beim Oslo Philharmonic Orchestra sowie Musikdirektor des Orchestre de Paris wird er ab 2027, bei Aufgabe der beiden genannten Positionen, Chefdirigent des Koninklijk Concertgebouw Orkest Amsterdam sowie Musikdirektor des Chicago Symphony Orchestra sein – da ist der junge Mann aus der Kaderschmiede vom großen Dirigentenlehrer Jorma Panula an der Sibelius-Akademie in Helsinki dann gerade einmal dreißig Jahre alt. Als Fokus-Künstler im Wiener Musikverein in der laufenden Saison hat er jetzt im Abonnement der Wiener Philharmoniker im Großen Musikvereinssaal mit einem Mammutwerk debütiert, stand doch die Symphonie Nr. VI von Gustav Mahler – uraufgeführt unter der Leitung des Komponisten am 27. Mai 1906 in Essen, die erste Aufführung der Wiener Philharmoniker erfolgte erst im Abonnementkonzert am 7. Jänner 1933 unter Clemens Krauss – als einziges Werk am Programm des vierten Abonnementkonzerts am 15. Dezember 2024.
Was zunächst bestimmt als Risiko bzw. Wagnis zu bezeichnen war – das mit überreichem Schlagwerk ausgestattete, in seinem musikalischen Ausdruck ungemein gesteigerte Werk stellt eine dirigentische Herausforderung sondergleichen dar – erweist sich als Triumph für den jungen Dirigenten auf allen Linien. Mäkelä lässt sich von der unglaublichen Klangkultur und dem famosen Orchesterspiel des Wiener Meisterorchesters förmlich tragen und setzt seinerseits, mit erstklassiger Schlagtechnik und hohem dirigentischen Können ausgestattet, ungemein starke, mitreißende Akzente am Pult bei der Wiedergabe und der Interpretation von Mahlers „Pandämonium der Existenz“ (Joachim Reiber). Das Orchester ist in dieser Matinee in allen Gruppen exzellent disponiert, herausragend die runden Hörner und die weichen Flöten. Möchte man einen geringen Einwand erheben, könnte die Soloklarinette im markigen ersten Satz noch deutlicher, schneidender hervortreten.
Mäkelä steht von Anfang an unter Hochspannung, die er, in Kombination einer ungemein forschen, zwingenden Gangart auf das auf Stuhlkanten sitzende Orchester überträgt und die ganzen 85 Minuten der Wiedergabedauer des Riesenwerkes konsequent und gekonnt durchhält. Eine extrovertierte Dynamik regiert diese durch und durch kompakte, überwiegend betont zügige Interpretation, man möchte dabei an die Leidenschaft von Leonard Bernstein in Kombination mit der zwingenden Transparenz von Pierre Boulez denken. Die Exposition im ersten Satz – Allegro energico – lässt Mäkela, eher unüblich wiederholen, was jedoch starken Eindruck macht; nahezu lustvoll überschäumend musiziert er das „Almschi“-Thema. Persönlich ziehe ich das Andante moderato erst als dritten Satz vor, Mäkelä setzt es an die zweite Stelle, nimmt es getragen, ohne jedoch ins Schleppen zu verfallen, die Schönheiten von Mahlers Musik stark betonend, vom Orchester mit endlosem Bogen gespielt. Das Scherzo – Wuchtig – gerät forsch, ganz im Sinne Mahlers, gewichtig, heftig betont. Wer glaubt, dass dem jungen Mann dann vielleicht die Luft ausgehen könnte, irrt gewaltig, brennt der doch für die Musik wie eine Kerze an beiden Enden und legt bei den gewaltigen Auseinandersetzungen des vierten Satzes – Allegro moderato – noch an Intensität zu. Mäkelä beschränkt sich jedoch auf zwei Hammerschläge Mahlers. Unglaublich, mit welcher Reife der junge Mann am Ende des unheimlich unerbittlichen Werkes alle Kraft zerbröseln und die Symphonie in morbider Niedergeschlagenheit enden lässt.
„Meine VI. wird Rätsel aufgeben, an die sich nur eine Generation heranwagen darf, die meine ersten fünf in sich aufgenommen hat“, schrieb Mahler im Herbst 1904. Der junge Dirigent, diesen Rätseln auf der Spur, hat nicht nur das Zeug dazu, sondern scheint bereits am besten Weg zu einem Großen am Dirigentenpult zu sein.
Kommentare
Es war eine von unglaublicher Spannung getragene philharmonische Matinée, eine wunderschöne Visitenkarte, die Freude auf die nächste musikalische Begegnung von Klaus Mäkelä mit unseren Philharmonikern macht ! Ich kann Thomas Rauchenwald nur voll und ganz zustimmen!