LES TROYENS als zeitlos packendes Musiktheater in der Oper Graz

Jubel für die Ausführenden nach Berlioz' LES TROYENS in Graz © Thomas Rauchenwald

1899 eröffnet, feiert die Oper Graz in der laufenden Saison ihr 125. Jubiläum. Nach einer überaus gelungenen Produktion von Richard Wagners TANNHÄUSER im Herbst 2024 folgt nun zu Beginn des Jahres 2025 ein weiterer Meilenstein der Oper und wird Hector Berlioz‘ Ausnahmewerk LES TROYENS zum ersten Mal in der Geschichte des Hauses auf den Spielplan gesetzt. Der Komponist hat zu dieser Oper in zwei Teilen – Die Einnahme von Troja, Die Trojaner in Karthago – und fünf Akten neben der Musik auch die Dichtung nach der AENEIS von Vergil verfasst. Das gigantische Werk stellt für ein jedes, auch für ein großes Haus, immer eine enorme Herausforderung dar im Hinblick auf den erforderlichen riesigen Orchesterapparat, die ausladenden Chöre und die Überlänge. Wie würde die Oper Graz mit dieser Herkules-Aufgabe umgehen?

Was die Musik betrifft, wurden die Partien mancher Nebenrollen gekürzt und wurde auf die Balletteinlagen komplett verzichtet. Chefdirigent Vassilis Christopoulos setzt in der Vorstellung am 8. März 2025 mit den Grazer Philharmonikern vor allem auf betonten Drive und zwingendes, geschmeidig zügiges, spannendes Musizieren, ohne zu schleppen. Die weit in die Zukunft weisenden Klangfarben in Berlioz‘ Partitur reizt er facettenreich aus, vor allem die formidabel aufgestellten Holzbläser brillieren dabei, und erzielt mit der an diesem Abend überhaupt herausragend musizierenden Formation neben Transparenz auch einen einnehmenden Raumklang, auch Dank der in den beiden Parterre-Proszeniumslogen platzierten Harfen und Schlaginstrumenten.

Und auch sängerisch verfügt die Aufführung über stimmlich hohes Niveau. Beginnend bei der komplexen Chorpartie: Homogen, differenziert, plastisch im Gesang, stark im Ausdruck, überzeugend in der schauspielerischen Leistung – der Chor ist in diesem Werk ja ein Handlungsträger – präsentiert sich der Chor der Oper Graz, Einstudierung Johannes Köhler, unterstützt vom Philharmonia Chor Wien, Einstudierung Walter Zeh. Bereits die kleinen Rollen sind aus dem Ensemble überwiegend gut besetzt, herausragend jeweils in mehreren Rollen Ivan Orescanin, Daeho Kim und Willi Frost, sowie Ekaterina Solyuna als Ascagne, vor allem Neira Muhic als Anna.

Als wahre Glücksfälle erweisen sich sämtliche ProtagonistInnen. Strahlend, mit höhensicherem Tenor, permanent um die französische Stilistik und um den Einsatz der voix mixte bemüht, singt Iure Ciobanu den Enèe. Mareike Jankowski ist eine betont dramatische Cassandre, mit dunklem, warmem, starkem Mezzosopran, bewegend in der Rollengestaltung der ungehörten Seherin. Eine berührend intensive Rollengestaltung ist Anna Brull als Didon zu attestieren: Zu Beginn noch etwas verhalten zurückhaltend, steigert sie sich von Szene zu Szene mehr und mehr, ihr schöner, lyrischer Mezzosopran ist auch zu heftigen Ausbrüchen fähig, Raserei über ihre enttäuschte Liebe und ihr tragischer Selbstmord am Schluss des fast vierstündigen Abends gelingen schlicht ergreifend.

Die Inszenierung von Tatjana Gürbaca befreit das Riesenwerk von jeglicher Opulenz und zeigt ein zeitloses Menschendrama in ruhigen, präzisen, auf die Handlenden fokussierten Bildern. Personenführung und Personenregie sind gewohnt höchst subtil, psychologisch fundiert, die Beziehungen der Handlenden zu- und untereinander deutlich herausarbeitend, wodurch das Stück ganz aus der großartigen Musik heraus entwickelt und erzählt wird. Unterstützt wird die packende Regie von einem einfach gebauten, die Singstimmen optimal in den Zuschauerraum reflektierenden Bühnenbild (Henrik Ahr), von modernen, passenden Kostümen (Barbara Drosihn) und einem ästhetisch stimmigen Licht (Stefan Bolliger).

So soll Musiktheater sein und gibt`s lautstarken Publikumsjubel auch in der neunten Aufführung der Serie. Die Reise nach Graz hat wieder einmal mehr als gelohnt.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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