An der Lindenoper wurde Stefan Herheims vom Puppenspiel geprägte, gelungene Inszenierung von Richard Wagners romantischer Oper in drei Aufzügen „Lohengrin“ im Dezember 2023 durch eine Inszenierung des aus Katalonien stammenden, spanischen Regisseurs Calixto Bieito ersetzt, die nunmehr in einer neuerlichen Serie im „Zauberschloss Unter den Linden“ gezeigt wird.
Und um das Überraschende gleich vorwegzunehmen: Calixto Bieito, der sich mit modernen, expressiven, ja gewalttätigen oder bewusst sexualisierten Inszenierungen einen Ruf als „Skandalregisseur“ geschaffen hat, hat sich bei dieser Regiearbeit, bei der Barbora Horáková mitgearbeitet hat, äußerst zurückgehalten und eine im Einklang mit der Musik Wagners stehende Inszenierung geschaffen, bei der vor allem eine subtile, psychologisch fundierte Personenführung heraussticht. Unterstützt wurde Bieito von Rebecca Ringst (Bühnenbild) und Ingo Krügler (Kostüme); Michael Bauer steuert das mitunter stark blendende, dennoch plastisch stimmige Licht bei, Sarah Derendinger das Video. Angesiedelt ist dieses, die Vollendung wie das Ende der romantischen Oper darstellende Werk bei Bieito in einem Gerichtssaal, Elsa von Brabant wird in einem Käfig herein- bzw. vorgeführt. Aber diese Elsa von Brabant ist eine starke Frau, die sich gegen die patriarchalisch geprägte, toxische Männerwelt auflehnt. Der weiße Schwan, seit der Antike Symbol für Licht, Reinheit und Lebensende wird während des Vorspiels in ihrem Traum – wohl inspiriert von Joseph Beuys‘ „Schwangere und Schwan“ – von einer schwarzen Frau geboren: Für Elsa symbolisiert dieser Wasservogel erotische Fantasie, Albtraum, Melancholie und Gewalt. Die Gesellschaft, in der das Stück spielt, ist bei Bieito eine infantile, mitunter debile wie der Heerrufer, der König ein dekadenter Alkoholiker, Lohengrin ein anonymer Held. Am authentischsten in dieser durch und durch kranken Gesellschaft sind die nach Macht und Ansehen strebenden Ortrud und Telramund: Was diese beiden betrifft, gerät auch Bieitos Personenführung vollkommen überzeugend, durch und durch zwingend. Am Ende kauert der König im Käfig, Lohengrin verschwindet, in der nunmehrigen szenischen Neueinstudierung (Tabatha McFayden, Caroline Staunton) gibt es keinen jungen Herzog Gottfried mehr, Elsa triumphiert mit Horn, Schwert und Ring an der Rampe. Calixto Bieito gelingen in dieser Inszenierung bisweilen starke Bilder.
Am Pult der herrlich warm timbrierten Staatskapelle Berlin im tief nach unten gefahrenen Orchestergraben hat der junge britische Dirigent Alexander Soddy, derzeit Generalmusikdirektor in Mannheim, Platz genommen und ist sein Dirigat von „Lohengrin“ uneingeschränkt zu genießen. Soddy ist die große Geste nicht fremd, das Ergebnis gerät überzeugend – vom flirrend schwebenden Vorspiel bis zum niederschmetternden Schluss gelingt der Aufbau und das Halten eines Spannungsbogens sondergleichen über die ganzen drei Akte bei organisch gewählten, flüssigen Tempi.
Was die Besetzung betrifft, ist am 27. April 2024 eine exquisit exzellente Riege aufgeboten, wobei in der direkten präsenten Akustik der Lindenoper alle stimmlich uneingeschränkt aus dem Vollen schöpfen können. Adam Kutny gibt einen stimmlich überaus präsenten Heerrufer, muss allerdings an der Textverständlichkeit noch arbeiten. Heinrich der Vogler, gesungen von Günther Groissböck, ist eher furchteinflößend mit seinem gewaltigen Bass, Würde und Erhabenheit verströmt dieser deutsche König nicht. Wolfang Koch, erfahren und bewährt in dieser Rolle, singt mit kernig fokussiertem Bariton einen vielschichtigen, ausdrucksreichen Telramund, dem auch die unangenehmen Höhen der Partie nicht zusetzen können. Überaus schönstimmig, zwischendurch wo notwendig auch glühend lodernd, gestaltet Marina Prudenskaja mit ihrem Mezzosopran die Ortrud.
In den Hauptrollen ist ein Traumpaar zu erleben. Elsa von Brabant wird von Vida Mikneviciute gegeben, deren jugendlich-dramatischer Sopran bereits etwas zu stark für die lyrischen Abschnitte der Partie daherkommt, dennoch aber vollends überzeugen kann, weil ganz im Einklang mit der Regie stehend. Mit schier unbändiger Kraft, posaunenhaften Stentortönen, singt Andreas Schager den Schwanenritter. Hier ist ein echter, genuiner Heldentenor in dieser Partie zu hören, der es, was die Phonation betrifft, mit den allergrößten Rolleninterpreten wie Lauritz Melchior oder Franz Völker aufnehmen kann. Mit seiner Riesenstimme findet der Tenor im Brautgemach sogar einen schmelzreichen Ton. Im dritten Akt unterlaufen ihm bedauerlicherweise einige gravierende Textfehler, was ihm am Schluss auch prompt ein paar Buhrufe einbringt, die ob seiner beeindruckenden Gesamtleistung jedoch keineswegs gerechtfertigt sind.
Die Reise nach „Winterbayreuth“ an die Berliner Lindenoper hat wieder einmal mehr als gelohnt!