Naturbilder, Nachtmusiken und finaler Jubel – Welser-Möst mit Mahlers VII. Symphonie

Wiener Konzerthaus Cleveland Orchestra Franz-Welser-Möst
Franz Welser-Möst und das Cleveland Orchestra im Wiener Konzerthaus © Thomas Rauchenwald

Aus gesundheitlichen Gründen hat sich Franz Welser-Möst, der erfolgreichste österreichische Dirigent nach Herbert von Karajan und Nikolaus Harnoncourt, in den letzten Monaten am Dirigentenpult rarmachen und alle seine geplanten Auftritte bei den Salzburger Festspielen im vergangenen Sommer absagen müssen. Eine weitere Behandlungsreihe zwingt auch zur Absage sämtlicher Termine ab Ende Oktober 2023 bis Anfang des Jahres 2024, zuvor dirigiert er aber – nach einer Reihe von Konzerten in den USA – noch zweimal in Österreich „sein“ Cleveland Orchestra, dem er nunmehr seit 2002 als Music Director vorsteht. Das erste dieser beiden Konzerte fand im Wiener Konzerthaus statt, das ihm in dieser Saison sogar einen eigenen Zyklus widmet, in dessen Rahmen er drei Spitzenorchester dirigieren soll. Die Damen und Herren aus Cleveland machen den Anfang am 18. Oktober 2023.

Auf dem Programm stehen ausschließlich Werke von Gustav Mahler. Zu Beginn zu hören sind sechs ausgewählte Lieder, vorgetragen von Simon Keenlyside: „Frühlingsmorgen“, „Ablösung im Sommer“, „Revelge“, „Urlicht“, „Rheinlegendchen“ und „Hans und Grete“, wobei die Lieder drei, vier und fünf aus „Des Knaben Wunderhorn“ stammen und von Mahler selbst orchestriert wurden, das erste und die letzten beiden Lieder von Luciano Berio für Bariton und Orchester bearbeitet wurden. Keenlyside ist besonders ausdrucksstark in den drei Wunderhorn-Liedern, wo er auch die Stimmungen der einzelnen Lieder wunderbar erfasst, bei den übrigen kämpft er mit seinem immer noch charakterreichen Bariton ein wenig gegen den dicken, von Berio erstellten Orchestersatz; dennoch war’s ein gelungener Auftakt zu einem hervorragenden Konzert.

Eichendorff’sche Visionen, plätschernde Brunnen, deutsche Romantik“ sollen Gustav Mahler bei der Komposition seiner VII. Symphonie in e-moll, die im zweiten Teil des Abends aufs Programm gesetzt war, vorgeschwebt sein, wie seine Gattin Alma Mahler berichtete, ebenso eine „Nachtwache“: Das Werk enthält im Rahmen seiner eigenwilligen, spröd sperrigen Methodik auch noch Naturklänge, Herdenglocken – bei Mahler immer eine Metapher für die geistige, nicht nur die physische Gegenwart der Natur – und Vogelsang. Die komplexe, gewaltige, am 19. September 1908 in Prag uraufgeführte Symphonie stellt immer wieder eine echte Herausforderung für Orchester und Dirigenten dar und verlangt auch dem Publikum einiges ab. Vor der gesundheitsbedingten Pause überzeugt Franz Welser-Möst jedoch über den Maßen mit seiner stupenden Schlagtechnik und peitscht er förmlich das Riesenwerk in 73 Minuten Spieldauer durch, ohne dass auch nur die geringsten Nuancen auf der Strecke bleiben. Mit überragender Tempodramaturgie gelingt es dem Dirigenten, ein Höchstmaß an Spannung aufzubauen und diese über die ganzen fünf Sätze – trotz gnadenlos entfesselter Tempi am Schluss des ersten und letzten Satzes – zu halten, der überbordende Jubel im Finale steckt dann auch das Publikum im Großen Wiener Konzerthaussaal an. Gewiss der helle, mitunter grell gleißende Klang des amerikanischen Orchesters mag nicht jedermanns Sache sein, dennoch zeigt sich die Formation in allen Instrumentengruppen von einer glänzenden Beschaffenheit, wobei die unglaublich präzisen wie stimmigen Soli von Tenorhorn und Oboe hervorzuheben sind. Mögen es die zerklüfteten Passagen sein oder die lyrischen Abschnitte, die gewaltigen Intervallsprünge, die übertriebenen Glissandi, die perkussiven Pizzicati und auch die melancholischen Stimmungen der Musik – all das präsentiert das Orchester unter seinem Chefdirigenten mit stupender Klang- wie Spielkultur. Und im Rondo-Finale vermögen die Gäste aus Cleveland einfach zu überrumpeln bei Mahlers üppiger Pracht, unermüdlicher rhythmischer Variationen und nie nachlassender, überschäumender Einfälle: Der strahlende Jubel dieses Schlusssatzes ist aber auch eine Parodie auf Wagners „Meistersinger“ und Lehars „Die lustige Witwe“ und legt Franz Welser-Möst mit seinem hochkonzentriert musizierenden, nicht ermüdenden Orchester auch die Abgründe des fordernden Werkes offen. Möge der österreichische Dirigent von Weltrang bald wieder ganz genesen sein.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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