Beide sind sie der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien besonders verbunden – Franz Schubert und Rudolf Buchbinder – und widmet sich der österreichische Pianist in der aktuellen Saison im Musikverein in mehreren Programmen dem Werk dieses Komponisten. Den Beginn macht am 21. September 2024 im Großen Saal ein Liederbend, wo der deutsche Startenor und Publikumsliebling Jonas Kaufmann gemeinsam mit Rudolf Buchbinder am Flügel den Liederzyklus nach Gedichten von Wilhelm Müller – DIE SCHÖNE MÜLLERIN D 795 – gestaltet.
Der Abend leidet bedauerlicherweise von Anfang bis zum Schluss unter einer permanenten Unruhe im Publikum, wird doch selten derart laut in den Programmheften geblättert, und erreicht auch der Hustenpegel bereits zu Beginn der Saison Höchstausmaße, was die Konzentration auf das Wesentliche, vor allem bei einem Liederabend, sehr stark beeinträchtigt. Der Ablauf des Zyklus gerät äußerst rasch, in manchen Passagen zu schnell, da hätten sich die beiden Ausnahmekünstler, die zum ersten Mal gemeinsam auftreten, mitunter mehr Zeit nehmen können. Obwohl Buchbinder am Flügel dramatische Akzente setzt wie gefühlvolle lyrische, kantable Abschnitte vernehmen lässt, trägt seine Begleitung die Stimme des Sängers nicht genug, die Akustik des Goldenen Saals scheint aber auch nicht wirklich für einen intimen Liederabend geeignet. Kaufmann fasziniert zwar mit wunderbarer Phrasierung und geschmackvollem, schmelzreichem Legato des großen Opernsängers, erfasst für meine Begriffe Ausdruck und Wesen dieses Liederzyklus‘ nur bedingt, weil oft mit der Kopfstimme zu sehr in Larmoyanz verfallend. Schuberts herb männliche, aufgewühlte Seelendimensionen vermittelt er mit seinem baritonal grundiertem, zunehmend gaumiger werdendem Tenor nur ansatzweise: Heißblütig, glücklich, stolz, verunsichert, eifersüchtig, am Ende ausweglos soll er sein, der Müllersbursche, der sich in die treulose Müllerin verliebt und am Schluss als einzigem Weg aus seinem Leid nur mehr den Suizid im Wasser sieht. Vor allem den Tonfall der letzten drei Lieder, diese Leere, Trauer, Verzweiflung und Verlorenheit eines aussichtslos Liebenden trifft er nicht: Hier fehlen, auch Buchbinder, der zwar ein brillant phänomenaler Pianist, aber kein ausgewiesener Liedbegleiter ist, doch wesentliche Nuancen, empfindet man im speziellen in dieser Deutung den Schluss, wie ihn Kaufmann singt, eher als glückliches Ende, was es aber definitiv nicht darstellt. Jonas Kaufmann hat bei seiner Interpretation der „Müllerin“ offenbar einen eigenen Weg gesucht und gefunden.
Die Kompromisslosigkeit von Schuberts Liedkosmos, dieses Verlöschen einer Seele, bevor auch der Mensch den Tod erleidet, ist an diesem Abend im Musikverein nur ansatzweise zu erleben, zu erfahren: Allein mit hoher Wort- und Textverständlichkeit bei äußerst feiner Zurückhaltung wie nobler Zurückgenommenheit ist Schuberts seelischen Abgründen nicht beizukommen. Kaufmanns Fans sorgen dennoch für entsprechenden Beifall, sodass sich der Ausnahmesänger, der er nun einmal ist, nach dem Zyklus – nicht unbedingt geeignet – noch zu Zugaben hinreißen lässt.