„Salome“, parfümiert psychoanalytisch, wieder an der Wiener Staatsoper

Camilla Nylund als Strauss' "Salome" im Haus am Ring © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Um den 160. Geburtstag von Richard Strauss am 11. Juni 2024 lauft an der Wiener Staatsoper eine aktuelle Serie der in der vergangenen Saison neuproduzierten „Salome“ in teilweise neuer Besetzung. In der Titelrolle der Prinzessin von Judäa zu erleben ist wieder einmal Camilla Nylund, welche die herausfordernde Partie schon oft im Haus am Ring verkörpert hatte, allerdings noch nicht in der aktuellen Inszenierung. Die Sängerin, im Zenit ihrer Karriere stehend, hat den Sprung vom jugendlich-dramatischen Fach zur hochdramatischen Sopranistin geschafft – mit ihren ureigenen Mitteln, das heißt, eine jugendlich-lyrische Sängerin, die mit Technik und Stimmvolumen auch das erweiterte Fach schafft bzw. schlankes, lyrisches, helles Singen auch in den hochdramatischen Partien einbringt. Gerade dies mag Richard Strauss vorgeschwebt sein bei der Konzeption seiner „Salome“ und erfüllt Camilla Nylund diese Anforderungen in der Vorstellung am 9. Juni 2024 nahezu perfekt, ergreifend, berührend, beeindruckend in Gestaltung und Gesang dieser vielschichtigen Partie.

In die Inszenierung fügt sie sich hervorragend ein. Regisseur Cyril Teste, in dessen Arbeiten vor allem die Virtualisierung des Realen und der Verlust des Selbst eine große Rolle spielen, legt das Stück als Familiendrama, als Rachedrama und als Stück der Blicke, wobei er diesen Aspekt durch den mittlerweile beinahe obligatorischen Einsatz von Live-Videos in Neuproduktionen noch zusätzlich verstärkt, an. Dominant ist von Beginn an eine psychoanalytische Lesart des biblischen, letal endenden, blutigen Stoffes. Salomes begehrliches Verlangen nach dem Haupt des Täufers ist nicht das Wesen einer durch und durch durchtriebenen, verdorbenen Kindsfrau, sondern resultiert aus toxischen, traumatisierten Lebensumständen. Diese Salome ist, was bei Wilde nur angedeutet wird, ein explizites Missbrauchsopfer: Den berühmten „Tanz der sieben Schleier“ gestaltet eine junge Darstellerin (Anna Chesnova) als Alter Ego der Protagonistin und auch an anderen Stellen, wo Salome an wohl furchtbare Kindheitserlebnisse erinnert wird, ist eine andere Darstellerin (Margaryta Lazniuk) als junge Prinzessin auf der Bühne zu sehen. Die bereits erwähnten Live-Videos geraten jedoch vielfach platt und tragen nur Unwesentliches, wenn überhaupt, zum tieferen Verständnis des Werkes bei. Was die Personenregie betrifft, lässt Teste den Darsteller*innen viel Freiheiten und wünscht offensichtlich ein spontan kreatives Einbringen derselben, leider mit wenig zwingendem Erfolg, wirkt doch vieles aufgesetzt und statisch, weil eine geschärfte Regiehand nicht zum Einsatz kommt. Gags am Rande dürfen da auch nicht fehlen: Während des Schleiertanzes nehmen die Zuschauer*innen einen hauptsächlich aus Moschusnoten bestehenden Duft wahr, der speziell für diese Produktion kreiert wurde, als ob die geniale Musik des Komponisten hier nicht parfümiert verhangen genug wäre bzw. klänge? Allerdings: Eindrucksvoll und nachvollziehbar herausgearbeitet ist die Entwicklung der verzogenen Prinzessin von Judäa vom durch offensichtliche Missbrauchshandlungen ihres Stief- bzw. Ersatzvaters schwer traumatisierten Kind hin zur seelischen Katastrophe.

Hohen Ansprüchen genügen Gerhard Siegel als mehr schreiender denn singender Herodes und Iain Paterson als phonetisch schwacher Jochanaan an diesem Abend bedauerlicherweise nicht, nur Michaela Schuster als Herodias ist rollenimmanent an eisiger Kälte und hysterischem Keifen nahezu unüberbietbar. Ausgezeichnete Rollenporträts sind von Daniel Jenz als schmachtender Narraboth und Patricia Nolz als starker Page zu hören. Sämtliche kleinen Rollen sind aus dem Hausensemble hervorragend besetzt, herausragende Charakterstudien steuern hier Norbert Ernst als Erster Jude, Clemens Unterreiner als Erster Nazarener und Wolfgang Bankl als Erster Soldat bei.

Das Orchester der Wiener Staatsoper, in allen Instrumentengruppen sehr gut disponiert, hat diese in tausend Farben schillernde und wie Diamanten funkelnde Partitur quasi in seinen Genen und so verwundert es nicht, dass die Formation, wie so oft bei diesem Stück, im Laufe der Aufführung mehr und mehr herrlich aufspielt und im großen Orchesterklang schwelgt. Der Musikdirektor des Hauses, Philippe Jordan, setzt am Pult enorm geschmackvolle wie starke Akzente, betont die Dramatik in der Musik, wobei er trotz gesteigerter Dynamik stets um die Sänger*innen bemüht ist. Derart inspiriert, gipfelt er gemeinsam mit der Hauptdarstellerin in einem nahezu ekstatischen Schluss, weshalb auch nach diesem Dirigat unverständlich bleibt, weshalb der Vertrag von Jordan an der Wiener Staatsoper nicht verlängert wurde.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Kommentare

  1. M.Arbesser

    Zusätze zur gekonnten Kritik:
    Orchester zwar machtvoll dirigiert, doch vielfach schlicht zu laut und brutal gegenüber den Sängern, insb. der herrlichen Salome. Wo bleiben die Erotik, wo der subtile Richard Strauss in der Partitur?
    Johanaan absolut inadäquat.
    Oskar Wilde und Strauss würden die Regie aus dem Haus werfen. Handlung, Text und Musik sind Meisterwerke, die verkopfte Neuinszenierung tötet das klassische Gesamtkunstwerk.
    „Neurotik statt Erotik“

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