Sir Simon Rattle und seine Bayern mit Wagner, Ades und Beethoven im Wiener Musikverein

Sir Simon Rattle im Wiener Musikverein © Thomas Rauchenwald

Nach dem Tod von Mariss Jansons ist Sir Simon Rattle seit Beginn der laufenden Saison 2023/2024 der nunmehr sechste in der Reihe bedeutender Chefdirigenten beim renommierten Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das getrost zu den führenden Klangkörpern weltweit zu zählen ist.

Bei seinem Gastspiel im Großen Saal des Wiener Musikvereins am 16. März 2024 gibt es als österreichische Erstaufführung im ersten Teil des Konzertes ein über Auftrag des Orchesters für die erste Spielzeit von Rattle mit Unterstützung der Carnegie Hall New York und der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien entstandenes Werk des 1971 geborenen Briten Thomas Adés, eines zeitgenössischen Komponisten, den Rattle bereits seit seinen Tagen als Chefdirigent in Birmingham gerne und oft aufführt: „Aquifer“ für Orchester, uraufgeführt am 14. März 2024 von Rattle und seinem Orchester im Herkulessaal der Münchner Residenz. Der Name des Werkes bezeichnet eine Gesteinsschicht, die Grundwasser speichern und leiten kann; diese Tätigkeit versucht der Komponist in Klänge bzw. Klangströme zu übertragen. Das inspirierte Werk ist für großes Orchester gesetzt, kommt sehr kurzweilig daher und wird vom blendend disponierten Orchester unter der leidenschaftlichen Leitung seines Chefdirigenten hervorragend umgesetzt. Leidenschaftlich aufrauschend wie tragisch verklärend ist auch der Auftakt des Konzertes – Vorspiel und „Isoldes Liebestod“ aus „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner für konzertante Aufführungen mit dem dafür vom Komponisten eigens verfassten „geheimnisvoll beruhigenden“ Konzertschluss. Die gekonnt stimmige Wiedergabe lässt in Isoldes Verklärung die Singstimme überhaupt nicht vermissen, man wünscht sich eine komplette Aufführung von Wagners Musikdrama mit diesem herrlichen Klangkörper unter seinem neuen Chef, der bereits nach kurzer Zeit voll und ganz an der Isar angekommen sein dürfte.

Seine besondere Affinität zum symphonischen Werk von Ludwig van Beethoven hat Sir Simon immer wieder unter Beweis gestellt, sei es, was seine Gesamtaufnahme der Symphonien für EMI mit den Wiener Philharmonikern, sei es, was seine Aufführungen dieser Werke in seiner Zeit als Chefdirigent bei den Berliner Philharmonikern betrifft. Besonders gelungen unter seiner Stabführung geriet immer wieder die Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68, die „Sinfonia pastorale“ – so auch beim gestrigen Konzert mit seinem neuen Orchester. Butterweich, basslastig grundiert, mit wesentlich verkleinerter Orchesterbesetzung gegenüber den vor der Pause gespielten Werken kommt das Werk in organisch zügigen Tempi daher. Auffällig, dass Rattle sehr vibratoarm spielen lässt. Forsch der erste Satz, für den zweiten, die idyllische „Szene am Bach“ nimmt sich Sir Simon genügend Zeit, lässt die Phrasen schön ausschwingen und die Vögelein zwitschern, wobei nahezu perfekte Holzbläser – Oboe, Klarinette, Flöte, Fagott – zu vernehmen wie zu bestaunen sind. Derb polternd geht es weiter in den dritten Satz, der dann in den von gewaltigen, hart geschlagenen Pauken dominierten, vierten, den Gewittersatz, übergeht. Fließende Ruhe, die einem großen Ausströmen gleichkommt, regiert dann im letzten Satz, sodass frohe und dankbare, beglückende Gefühle auch beim Publikum aufkommen. Das bestens gelaunte Orchester und sein vor Musizierlust überschäumender Chef bedanken sich noch mit einer rasant fulminanten Zugabe, dem Slawischen Tanz C-Dur op. 72/7 aus der Feder von Antonin Dvorák.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert