2024 gedenkt man auch des 100. Todestages des Schriftstellers Franz Kafka, was vom MusikTheater an der zum Anlass genommen wurde, in Kooperation mit der Neuen Oper Wien in der Kammeroper „Der Prozess“, eine der erfolgreichsten Opern von Gottfried von Einem seit ihrer Uraufführung bei den Salzburger Festspielen 1953, zu zeigen. Einems Oper in zwei Teilen (neun Bildern) op. 14 – mit dem Libretto nach dem unvollendeten, gleichnamigen Roman von Kafka von Boris Blacher und Heinz von Cramer – wird, um überhaupt an der kleinen Spielstätte aufgeführt werden zu können, in einem 2021 coronabedingt entstandenen Arrangement für kleines Orchester von Tobias Leppert gespielt.
Das Werk, das ganz auf einen Chor verzichtet – die Stimmen bewegen sich dabei in starker Deklamation in einer gemäßigt modernen Harmonik mit vielen Ostinati, teilweise im Bereich der Zwöftontechnik, hin und wieder klingen auch Rhythmen der Tanzmusik aus den frühen 1950er Jahren an – verfehlt auch in dieser orchestralen Kammerfassung beim Publikum nicht seine Wirkung: Walter Kobèra am Pult der Klangforum PPCM Academy – einer CAMPUS Kooperation zwischen der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien und der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz – setzt auch in der vorletzten Aufführung der Serie am 20. Dezember 2024 auf starke, dramatische Akzente und permanent intensive Spannung, verhilft den beinahe ständig pochenden, hämmernden Rhythmen unentwegt zu ihrem Recht. Förderlich für die Akustik in diesem kleinen Raum, sprich, dass die Singstimmen nicht vom Orchester übertönt werden, ist der Umstand, dass auf der Vorderbühne gespielt wird und das Orchester nicht im Graben sitzt, sondern hinter der Szene, nur teilweise sichtbar, hinter einem dünnen Gazè-Vorhang, der sich heben und senken lässt. Dirigent Kobèra meistert diese besondere Herausforderung – der Gesang erreicht auf diese Art ja zuerst das Publikum und gelangt nicht erst über das Orchester im Graben hinweg in den Saal – beeindruckend.
Durch diese Raumlösung kommen die DarstellerInnen auch ganz nahe an das Publikum heran, wird das Publikum hautnah fast Teil der Bühne. Intendant und Regisseur Stefan Herheim, der zum ersten Mal in der Kammeroper inszeniert, zeigt das Stück als fast klaustrophobisches Kammerspiel, enorm dicht in der Personenführung, enorm stark in der Personenregie, die den DarstellerInnen alles abverlangt. Die groteske, bisweilen bizarre Komik der Vorlage wird dabei fast überbetont – mitunter auf Kosten des subtilen Schreckens von Kafkas Romanvorlage, dominieren in seiner Inszenierung, die unproblematisch als schlüpfrige Revue durchgehen würde, doch stark erotisierende, Sex in allen Varianten und Facetten zeigende Szenen, stehen laszive Exzesse neben karikaturhaften Prügelszenen. Grotesk ist das allemal, die beklemmende Wirkung des Romans mag sich dabei nicht so recht einstellen. Als Franz Kafka geistert Fabian Tobias Huster im schwarzen Anzug durch die Szene, Silke Bauer hat das Bühnenbild entworfen, Nina Paireder die Kostüme.
Robert Murray, ein britischer Tenor, der zuletzt im MusikTheater an der Wien in Händels „Belshazzar“ aufgetreten ist, steht als Protagonist Josef K., der grundlos verhaftet und nach einem undurchsichtigem Prozess verurteilt wird, ununterbrochen auf der Bühne: Im ersten Teil lässt ihn Regisseur Herheim als Gottfried von Einem auftreten, im zweiten Teil als schutzbedürftigen, naiven Mann, stimmlich überzeugt er mit lyrischem, aber kernigem Tenor. An seiner Seite hat die Sopranistin mit deutschen Wurzeln Anne-Fleur Werner alle (!) Frauenrollen in dieser Kammeropernfassung des Werkes übernommen und verfügt nicht nur über ein blendendes Aussehen, das sie hervorragend auf der Bühne einzusetzen versteht, sondern auch über eine attraktive Stimme: Stefan Herheim möge mit dieser Sängerin Alban Bergs „Lulu“ in der dreiaktigen Fassung auf die Bühne bringen, wenn man sich als Opernfreund vom Christkind etwas wünschen darf. Auch die anderen im Ensemble verkörpern überzeugend mehrere Rollen.
Wiens Opernfreunde blicken voller Spannung auf den Januar 2025, wo nach umfassenden Sanierungsarbeiten im Großen Haus im MusikTheater an der Wien dann endlich die erste szenische Premiere über die Bühne gehen soll.