Wagner leuchtet leise – TRISTAN UND ISOLDE in Genf

Elisabeth Strid (Isolde) und Gwyn Hughes Jones (Tristan) nach der Dernière von Wagners "Tristan und Isolde" in Genf © Thomas Rauchenwald

Aviel Cahn, Intendant der Oper in Genf und designierter Intendant der Deutschen Oper Berlin, eröffnet seine zweitletzte Genfer Saison mit „Tristan und Isolde“, Richard Wagners 1865 in München uraufgeführtem Musikdrama, das der Komponist selbst als „Handlung in drei Aufzügen“ titulierte, und stellt diese Neuproduktion eine Koproduktion mit seinem zukünftigen Berliner Haus dar.

Im Orchestergraben am Dirigentenpult des exzellenten Orchestre de la Suisse Romande steht Marc Albrecht, Chefdirigent der Nederlandse Opera in Amsterdam und des Nederlands Philharmonisch Orkest, der in seiner wunderbaren Interpretation ganz auf die Sogwirkung von Wagners rauschhaft gesteigerter Musik setzt. Weitgehend verdeckt, entfaltet das Orchester einen hellen, betont schlanken, transparenten, über den ganzen Abend beinahe magischen, schwerelosen Klang – immer im Dienst der SängerInnen auf der Bühne, Wagners musikalischen Kosmos mit all‘ seinen vielfältigen Nuancen wie enormem Reichtum in seiner ganzen Tiefe erfassend. Betörend die Klang- wie Orchesterfarben, die der Dirigent der Formation entlockt; bei dieser erstklassigen Orchesterleistung überzeugen gleichsam ein leises, sublimes Leuchten der Partitur wie dramatisch gesteigerte Höhepunkte. Im Verein mit von Grund auf eher lyrisch ausgerichteten Stimmen, vor allem in den beiden Hauptpartien, glüht Wagners Musik beeindruckend nobel, dezent in der besuchten Dernière der aktuellen Premierenserie am 27. September 2024 im Grand Théatre de Genéve: Wagners feinnervige wie gleichsam äußerst leidenschaftliche Musik wird hier nicht durch pompöse Akzente, sondern durch ausgesprochene Feinheit verwirklicht, die Spannung ihrer betonten Chromatik nicht durch Energieaufladung erzielt, sondern durch eine natürliche Vitalität.

Der Choeur du Grand Théatre de Genéve, einstudiert von Mark Biggins, steuert im ersten Akt starken Chorgesang bei, sehr gut besetzt sind in Genf auch die kleinen Rollen – Julien Henrich (Melot), Vladimir Kazakov (Steuermann) und Emanuel Tomljenovic (Seemann, Hirte). Der Norweger Audun Iversen verfügt als Kurwenal über einen kräftigen Charakterbariton, exemplarisch in Gestaltung und Wortdeutlichkeit singt der in Kuwait geborene deutsche Sänger Tareq Nazmi mit klang- und gesangvollem Bass einen ergreifenden König Marke. Die Deutsche Kristina Stanek lässt als Brangäne betörende, volle Mezzosoprantöne vernehmen, an ihrer Artikulation sollte sie noch ein wenig arbeiten. Jede Aufführung des Werkes fällt und steht naturgemäß mit den beiden Hauptrollen, die zu den schwersten Aufgaben des Musiktheaters überhaupt zu zählen sind. Der Walliser Gwyn Hughes Jones als Tristan verfügt über einen hellen, durchaus kräftigen, bestens fokussierten Tenor, der enormes Gefühl für die leisen Töne wie die ungeheuren Zwischentöne dieser extrem fordernden, komplexen Partie entfalten und auch noch im gefürchteten dritten Akt die nötigen Kraftreserven für diese parforce tour aufbringen kann. Abgründig rollenimmanent gerät seine gezielte Deklamation zu Beginn des dritten Aktes, sein letztes „Isolde“ entschwebt förmlich seinem Herzen, seiner Seele. Die beste Gesangsleistung des Abends erbringt aber Elisabeth Strid als Isolde. Die Schwedin ist keine von Grund auf hochdramatische Sopranheroine, ihre jugendliche, immer dramatischer werdende Sopranstimme besitzt aber genügend Kraft für die schweren Gesangslinien. Ihre gefühlvolle Interpretation geht in Richtung einer mädchenhaft jungen, aber großen Liebenden. Wo andere mit fulminanter Phonation beeindrucken, fasziniert diese Sängerin mit wahren Leuchtraketen in den Höhen bei ausgezeichnet geführter Stimme – als nahezu überragend muss ihre Textverständlichkeit bei der Interpretation dieser Riesenpartie bezeichnet werden – und krönt eine bestechende lyrische Emphase, einem sanften Verglühen gleichkommend, in der abschließenden Verklärung diese berührende, zu Herzen gehende Ausnahmeleistung. Alle Ausführenden werden zum Schluss vom Publikum zu Recht lautstark und stürmisch gefeiert.

Aber auch heute noch suche ich vergeblich nach einem Werk, das die gleiche gefährliche Faszination, die gleiche beängstigende und süße Unendlichkeit hat wie Tristan und Isolde.“ – schreibt Friedrich Nietzsche in seinem „Ecce homo“ – und geht der deutsche Regisseur Michael Thalheimer, der am Grand Théatre de Genéve bereits „Parsifal“ über den Maßen überzeugend auf die Bühne gebracht hat, dem Wesen von Wagners Liebesepos „Tristan und Isolde“ schnörkellos, direkt, strikt auf den Grund. Im kargen Bühnenbild von Henrik Ahr – es gibt nichts außer einer Rückwand mit zwischendurch von dunkelorangerot bis weiß gleißend leuchtenden Scheinwerfern und einem schwarzen Block, infolge einer defekten Elektronik am Haus können ursprünglich vorgesehene Bühnenbildelemente nicht vom Schnürboden nieder- bzw. hinaufgesenkt werden  – vertraut der Regisseur blind Wagners überragender, sehnsuchtstrunkener Musik, weshalb sich dieses „Adagio der Nacht“ (Ernst Bloch) bis zum „zweimal einsamen Tod“ (Nike Wagner) der beiden Protagonisten zwingend entfalten, den Zuschauern beinahe schon überdeutlich vermitteln kann. Michaela Barth steuert zeitlose, äußerst geschmackvolle, ästhetische Kostüme bei, die Lichtregie von Stefan Boliger ist grandios stimmig wie ausgesprochen plastisch geraten, ganz auf die süchtig machende Musik abgestimmt. Ohne Rahmen- wie Zusatzhandlungen, Verdoppelungen, Videos oder Choreografien entwickelt und erzählt Thalheimer einfach das Stück aus der Musik, die „Handlung“ wird dabei quasi seziert, weil der Regisseur auch die Requisiten auf das Wesentliche reduziert. Im ersten Akt schleppt sich Isolde mit einem Seil auf die Bühne, im dritten Akt Tristan: Schwer ziehen sie, leiden sie an der Last ihrer unentrinnbaren Liebe, an der sie schließlich beide zugrunde gehen. Brangäne bringt während der Konfrontation der Liebenden ein Glas Wasser – synomym für den Trank, den es nicht braucht, dass sich Tristan und Isolde endlich ihrer Gefühle füreinander bewusstwerden, sich diese eingestehen. Mit einem Messer schlitzen sie sich auf dem Höhepunkt im zweiten Akt die Pulsadern auf, es hilft alles nichts, noch können sie nicht sterben. Der Tod kommt erst im dritten Akt – wenn Tristan an der Wunde stirbt, nachdem er selbst in dieses Messer (Melots) gerannt ist, nachdem sich Isolde damit die Halsschlagader aufgerissen hat, um in „unbewusst höchster Lust“ zu vergehen. Wann war ein Regisseur in den letzten Jahren in solch‘ einer direkten Einfachheit, im Grunde mit einem szenischen Nichts, näher an Wagners „opus metaphysicum“ (Friedrich Nietzsche)? In Thalheimers Regiearbeit entfalten sich die Spannungen und Beziehungen der handelnden Personen nur in Gestik und Mimik, auch die klare Personenregie wie die meisterhafte Personenführung bleiben während des ganzen Verlaufes des Geschehens äußerst sparsam, zurückgenommen. Thalheimer gelingt es dennoch, eine enorme szenische Intensität über die fünf Stunden Werkdauer inklusive zweier Pausen zu erzielen und auch zu halten, bisweilen im szenischen Stillstand wirkt der ganz große Zauber von Wagners intensiver Musik noch betörender als sonst. Bedauerlicherweise waren in der Dernière dieser Aufführungsserie an diesem Freitagabend viele Plätze leer im Genfer Opernhaus.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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