Wehmütige Melancholie zum Jahresausklang: Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker im Silvesterkonzert

Riccardo Muti und die Wiener Philharmoniker im Silvesterkonzert 2024 © Thomas Rauchenwald

Bei den Walzern sind ja keine acht Takte im gleichen Tempo. Jeder Übergang muss delikat sein. Macht man zu viel, ist es kitschig, macht man nichts, ist es fad.“ – so Michael Bladerer, Geschäftsführer des Vereins Wiener Philharmoniker. Und einer, der das Gesagte nahezu bis zur Perfektion beherrscht, ist der erklärte Lieblingsdirigent der Wiener Philharmoniker und Grandseigneur der Dirigenten, Riccardo Muti. „Wir brauchen Musik mehr denn je, weil sie ein Medikament für die Seele ist!“ – erklärt der Maestro selbst während der Proben zu den drei Konzerten mit dem Orchester, das er als sein „Lebensorchester“ bezeichnet, um den Jahreswechsel im Großen Musikvereinssaal, wo traditionell ausgewählte Werke der Strauß-Dynastie auf dem Programm stehen. Und während des Konzertes – die Rezension bezieht sich auf das Silvesterkonzert am Abend des 31. Dezember 2024 – wendet sich der ungemein vitale, 83jährige Dirigent mit seiner Botschaft auf Italienisch ans Publikum: „Frieden, Brüderlichkeit und Liebe auf der ganzen Welt!“

Das Programm des Konzertes, ident mit jenem des am nächsten Tag folgenden Neujahrskonzertes, ist überwiegend dem Jahresregenten 2025, dem „Walzerkönig“ Johann Strauß (Sohn) gewidmet: 2025 feiert die Musikwelt ja dessen 200. Geburtstag. Zu seinen Werken erklingen noch Kompositionen von Johann Strauss (Vater), Josef Strauß, Eduard Strauß, Josef Hellmesberger d. J. – und, zum ersten Mal überhaupt in diesen Konzerten, eine Komposition einer Frau, der „Ferdinandus-Walzer“ op. 10, ein Stück, das Muti nicht deswegen ausgewählt hat, weil sie von einer Frau stammt, sondern einfach gute Musik ist, für großes Orchester instrumentiert von Wolfgang Dörner.

Bereits was dieses Silvesterkonzert betrifft, ist von einem außergewöhnlichen Konzert zu berichten, sorgt doch Riccardo Muti nach Aufführungen der IX. Symphonie von Beethoven im März in Wien und der VIII. Symphonie von Anton Bruckner im August in Salzburg mit dem ihm hingebungsvoll folgendem Orchester am letzten Tag des Jahres 2024 wiederum für eine veritable Sternstunde. Jedes Stück gerät über den Maßen gelungen, herauszugreifen sind – neben einer gefühlvoll charmanten „Demolirer-Polka“, Polka francaise, op. 269, und einem wirbelnd rasanten „Tritsch-Tratsch“, Polka schnell, op. 214, von Johann Strauß (Sohn) – aber die betont ungarisch musizierte, mit herrlichem Oboensolo aufwartende Ouvertüre zur Operette „Der Zigeunerbaron“ von Johann Strauß (Sohn) sowie die überaus feinsinnig gespielten, großen Walzer.

„Dorfschwalben aus Österreich“, op. 164, mit wunderschönen Klarinettensoli und „Transactionen“, op. 184, wie Muti diese interpretiert, sind wohl künstlerische, keine finanziellen Übertragungen gemeint, beide von Josef Strauß – und, alle von Johann Strauß (Sohn) – der melodienreiche „Lagunen-Walzer“, op. 411, die fein gesteigerten Bögen in den „Accelerationen“, op. 234, den von Richard Wagner hochgeschätzten Walzer „Wein, Weib und Gesang“, op. 333, sowie, die heimliche Hymne Österreichs, der in ganzer Getragenheit voll aussingende, ausschwingende Walzer „An der schönen blauen Donau“, op. 314, sorgen für ein Fest zum Jahresausklang: Die „Sträuße“ mit deutlich hörbarer, wehmütiger Melancholie ausgestattet, was bei den elegischen Walzern von Josef idiomatisch ist und den galanten Werken vom „Schani“ einmal auch ganz guttut.

Einfach ein wunderbares Konzert, welches das Herz aufgehen lässt: Schnörkellos, akzentuiert, temperamentvoll, manche Phrasierung, manche Temporückung, manche Betonung noch mehr als sonst ausgekostet, und wählt Muti nie verhetzte, sondern organische, im Endeffekt überzeugende, richtige Tempi und lässt, wie es eben seine Art ist, die Musik in ihrer ganzen, vollendeten Schönheit strömen wie erklingen, wobei die famosen Streicher (silbrige Geigen, samtige Celli) in filigran gezogenen Linien so richtig schmirgeln, das abgetönte Holz, wo nötig, auch die entsprechende Keckkheit entfaltet und das Blech unaufdringlich rund klingt. Auf dämliche Späßchen während des Konzertes verzichtet der Maestro glücklicherweise zur Gänze, keine entbehrlichen Konfettiregen, keine lächerlichen Kopfbedeckungen, er lässt allein die Musik sprechen.

Mit Riccardo Muti am Pult der Wiener Philharmoniker ist ein Interpret dieser Musik voller Eleganz, Gefühl, Hingabe, Präzision und Tiefe zu erleben. Seine Deutung lässt keinen Zweifel offen, dass derart ursprünglich leichte Unterhaltungsmusik zu zeitlos großer Konzertmusik wird!

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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