Leonard Bernstein verknüpft in seinem 1957 uraufgeführten Erfolgsmusical „West Side Story“, wohl seine beste Bühnenkomposition überhaupt, nach einer Idee von Jerome Robbins, dem Buch von Arthur Laurents und den Gesangstexten von Stephen Sondheim zwei Problematiken – einerseits eine an William Shakespeares Tragödie „Romeo und Julia“ gemahnende Liebesgeschichte, andererseits den Bandenkrieg in New York zwischen jugendlichen US-Amerikanern und jugendlichen Einwanderern aus Puerto Rico.
In der Jubiläumssaison hat es sich Hausherrin Lotte de Beer nicht nehmen lassen, das Erfolgsmusical selbst an der Wiener Volksoper neu zu inszenieren – und das mit grandiosem Erfolg. Klug setzt die erste Direktorin des Hauses auf moderate Erneuerung unter Wahrung der Tradition des beliebten Hauses: Die Gesangstexte werden in englischer Sprache gesungen, die Dialoge in der deutschen Übersetzung von Marcel Prawy gesprochen, dem es als ehemaliger Dramaturg der Wiener Volksoper in Folge eines unermüdlichen Briefwechsels mit Bernstein gelang, die deutschsprachige Erstaufführung des Stückes 1968 an der Wiener Volksoper zu realisieren.
In passend unaufdringlichen Kostümen von Jorine van Beek, dem praktikablen Bühnenbild von Christof Hetzer und stimmigem Licht von Alex Brok setzt die Regisseurin ganz auf die erbarmungslosen Umstände, welche für die Protagonisten Maria und Tony deren Liebe so intensiv machen, ist doch diese Liebe das Einzige, was sie haben. Nur Tony hat Einfluss auf sein Schicksal, die Verhältnisse lassen aber auch ihn scheitern und zur tragischen Katastrophe führen: Diese Aspekte bringt Lotte de Beer schlicht, berührend auf die Bühne, die Personenregie wie die Personenführung sind formidabel, subtil, ganz aus Bernsteins Musik entwickelt, diesbezüglich merkt man ihr stark ihre ehemalige Zusammenarbeit mit Peter Konwitschny an.
Ein wesentlicher Aspekt des großartigen Gelingens dieser Produktion ist die tempo- wie ungemein elanreiche Choreographie des in Puerto Rico geborenen Bryan Arias, der in dieser wirbelnd rasanten, zugespitzten Tanzperformance lateinamerikanische Tanzstile, zeitgenössischen Tanz wie unterschiedliche Bewegungssprachen – für die amerikanischen Jets einen scharfen, geradlinigen, für die puertoricanischen Sharks einen fließenden, geschwungenen, sinnlichen Tanzstil – virtuos, höchst überzeugend, kombiniert.
Die großartige Musik von Leonard Bernstein ist auch in der achten Aufführung der laufenden Serie am 16. Februar 2024 in guten Händen. Hatte der neue Musikdirektor des Hauses, Ben Glassberg, das Orchester der Wiener Volksoper für die Premiere bestens präpariert, geht auch unter der musikalischen Leitung von Tobias Wögerer nichts an Dramatik, Schwung und Drive verloren, die percussionsartig hämmernden Rhythmen werden zur Freude des Publikums nur so in den Raum geknallt, swingender, leichtfüßiger Jazz fehlt dabei ebenso wenig wie straff durchgezogene Tempi.
Aus der Besetzung ragen Jaye Simmons als berührende Maria mit ihrem opernhaft angehauchten Sopran und die quirlige Myrthes Monteiro als Anita heraus. Gut besetzt sind Oliver Liebl als Riff und Lionel von Lawrence als Bernardo. Christof Messner gibt als Tony ein sympathisches Rollendebüt an der Volksoper Wien, kann nervositätsbedingt stimmlich jedoch nicht ganz überzeugen.
Die Neuproduktion der „West Side Story“ dürfte aber zum absoluten Publikumsrenner in der Wiener Volksoper werden.