Wogende Wagnersche Wonnen an der Wiener Staatsoper: Christian Thielemann dirigiert LOHENGRIN

Jubel an der Wiener Staatsoper für Christian Thielemann, Camilla Nylund und Klaus Florian Vogt nach LOHENGRIN © Thomas Rauchenwald

An der Wiener Staatsoper steht wieder eine Serie von Richard Wagners „Lohengrin“ am Spielplan. Gezeigt wird die Inszenierung des Regieteams Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viehbrock, welches das Stück einer bewussten Neudeutung unterzogen hat, soll heißen, Elsa hat ihren Bruder Gottfried tatsächlich ermordet und lügt ihre Unschuld, die böse Zauberin Ortrud und der von ihr gesteuerte Graf Telramund sind die Guten. Aus diesem Ansatz wird für das Bühnenbild im Zusammenspiel mit den Kostümen ein kindlich-naiver Raum entwickelt. Elsa ist ein Opfer, soll sie doch in einer Zwangsehe mit Telramund für politische Zwecke missbraucht werden. Dementsprechend sehnt sie sich – quasi als Utopie und psychoanalytisch im Unterbewusstsein – den fremden Ritter als Helfer herbei, der in dieser Regiearbeit auch äußerst fremd gezeichnet und charakterisiert ist. Kann solch‘ ein Konzept aufgehen?

Mitnichten und nimmt das Unbehagen über diese mutwillige Inszenierung von Beginn an seinen Lauf. Anstelle einer dichten, zwingenden, subtilen, psychologisch fundierten Personenführung ist wenig inspiriertes, oberflächlich arrangiertes Stehtheater auf Stadttheaterniveau zu sehen: Von Wagners Werk, das Ende wie Vollendung der romantischen Oper schlechthin darstellt und zwischen Märchen und Konflikt changieren sollte, ist in dieser Regiearbeit so gut wie nichts zu erfahren. Das Einheitsbühnenbild ist schmucklos, erinnert an eine Wehranlage, als Modell dient das Rückhaltebecken für die Regulierung des Wienflusses in Auhof an der Grenze zwischen dem 13. und 14. Wiener Gemeindebezirk. Lohengrin erscheint, natürlich ohne Schwan, aus einem Kanal, aus dem im dritten Akt auch ein hässliches, hölzernes Brautbett auftaucht, dieses und der Schwanenritter, in der Inszenierung von Wieler/Morabito/Viehbrock eine joviale, an Monthy Pythons „Ritter der Kokosnuss“ erinnernde Karikatur eines Helden, verschwinden auch wieder im Abfluss. Der in diesem Konzept die Brabanter unterwerfende König als Kriegsherr, ein Usurpator und debiler Schwächling, der zu Beginn des dritten Aktes auch den Brautchor dirigiert, sowie sein Generalissimus, der Heerrufer, singen ständig ins Publikum, wenden sich weder an Volk, Edle, Grafen und sonstige Handlungsträger. Von einem bewährten Regieteam darf man sich im Rahmen einer Neuproduktion an einem der ersten Opernhäuser weltweit deutlich mehr erwarten. Wieler, Morabito und Viehbrock zeigen im ästhetisch höchst fragwürdigen Ambiente korrekterweise ein im Grunde hoffnungsloses Stück, wo es im Wesentlichen um Vertrauen und dem Missbrauch desselben geht, sind aber nicht in der Lage, es auf Grund einer fehlinterpretatorischen, mutwillig plakativen wie bedenklich oberflächlichen (Neu)Deutung zu erzählen. „Lohengrin“ ist auch eine ausgewiesene Choroper, stellt sie doch das größte Choraufgebot sämtlicher Wagnerscher Opern überhaupt. Ausgehend von der Bedeutung des Chores im antiken griechischen Drama wird zwar der Chor als Handlungsträger stark visualisiert, allerdings mit ebenso fragwürdigem Ergebnis wie die ganze Inszenierung, sind als Masse zur Hälfte Soldaten, zur Hälfte Zivilisten zu sehen, die am Ende alle gemeinsam in den Krieg ziehen. Ein merkwürdiges Potpourri an Kostümen aus verschiedenen Zeitepochen – Wilhelminismus, Erster Weltkrieg, Neuzeit – wirkt nur lächerlich, ebenso ständiges Winken wie Fähnlein Schwingen. Und ja – am Schluss zieht Elsa, dieses lasziv-kindliche Luder, wie sie in dieser Inszenierung dargestellt wird, die Wasserleiche ihres Bruders Gottfried aus dem Wehrkanal, der, zum Leben erweckt, seine Schwester mit einem Schwert meuchelt. Von einer konsequenten, überzeugenden Regie, welche die Charaktere deutlich herausarbeitet und die handelnden Personen zwingend in ihrem Kontext zeichnet, ist wenig zu sehen. Adäquat dazu ist auch die wenig stimmige, eher trostlose Lichtregie von Sebastian Alphons.

Was die Besetzung angeht, ist an diesem Abend des 27. April 2025 aber überwiegend Weltklasse zu vernehmen – ausgenommen der Heerrufer von Attila Mokus, der zwar sehr wortdeutlich, phonetisch jedoch zu schwach agiert, und der eigenartig hohl dröhnende König Heinrich von Günther Groissböck. Bayreuther Tradition entsprechend ist Ortrud mit einer echten Hochdramatischen in Person der stimmlich fulminanten, einfach furiosen Anja Kampe besetzt, die mit ihrer dämonisch abgründigen Rolleninterpretation restlos überzeugt. Jordan Shanahan gibt mit hellem Bariton einen im Lauf des Abends immer stärker werdenden, präsenten, stimmlich überzeugenden Telramund und feiert dabei sein Rollendebüt am Haus. Camilla Nylund mit großem wie schwebend cremigem Sopran vermag als Elsa zu berühren. In der Titelrolle aufgeboten ist für diese Serie Publikumsliebling Klaus Florian Vogt, dessen Quantum in den letzten Wochen schier beeindruckend erscheint, gibt er doch nach einer Premierenserie „Lohengrin“ in Barcelona, „Tannhäuser“ an der Deutschen Oper Berlin und „Parsifal“ an der Wiener Staatsoper nun im Haus am Ring wieder den Schwanenritter. Der sympathische Sänger verfügt in den leisen, lyrischen Passagen über nahezu betörenden Tenorschmelz. Die betont helle, nahezu weißglühende Stimme hat auch enormes Fundament in der Tiefe und wirkt das Organ im Mezzoforte-Bereich mühelos, auch die Höhen kommen bestens fokussiert und strahlend. Man ist geneigt, von einer Idealbesetzung für Lohengrin zu schwärmen.

Dass der Besuch der aktuellen Serie von „Lohengrin“ im Haus am Ring über den Maßen lohnt, liegt an zwei zusätzlichen musikalischen Komponenten. Zum einen an den wunderbar differenzierten, schwebenden wie prächtig schallenden Chorgesang gleichsam verströmenden Chorgesang des von Thomas Lang hervorragend für seine große Aufgabe präparierten Chor der Wiener Staatsoper. Eine derartige Chorleistung ist bei diesem Werk in der Regel nur bei den Bayreuther Festspielen zu erleben. Und im Wesentlichen am an diesem Abend einfach überirdisch musizierenden, herrlich aufspielenden, in allen Instrumentengruppen formidabel aufgestellten Orchester der Wiener Staatsoper unter einem großartigen Dirigat vom ausgewiesenen Wiener Publikumsliebling Christian Thielemann. Nahezu ein Wunder bereits der Einsatz der samtig betörenden Celli im Vorspiel, von den philharmonischen Solisten ragen Soloklarinette und Oboe besonders heraus. Durchsichtig, kompakt, nimmt Thielemann die Partitur, entfacht einen ungeheuren Drive, erzielt einen wogenden Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Lyrik, Beseeltheit, Wärme wie der große Klang solch‘ Musizierens suchen Ihresgleichen, das Werk wird von Thielemann einfach vollendet musiziert. Zu bewundern sind da leuchtende Orchesterfarben, breit ausschwingende melodische Emphasen, gewaltig aufrauschende Streicher-Crescendi, ein fantastisch rhythmischer Schwung der Bläserfanfaren. Der Dirigent ist fortwährend um höchste Transparenz wie ausgefeilter SängerInnenbegleitung bemüht, betont stark herausgearbeitet wird die Gegenüberstellung der gleißend hellen Gralswelt Lohengrins und der dunkel finsteren Welt Ortruds – musikdramatische Aktion vom Allerfeinsten!

Am Ende gibt es einen verdienten Beifallsorkan für Thielemann, Chor, Orchester und die InterpretInnen von Lohengrin, Elsa und Ortrud.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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